Hessen hat ein Defizit – Einsatzkräfte: Kein Plan und keine Anlaufstelle für psychosoziale Hilfen

PSNV – Psychosoziale Notfallversorgung. Hinter dem sperrigen Begriff verbirgt sich eine wichtige Aufgabe bei Krisen und Notfällen jeder Art, denn körperliche und materielle Schäden sind längst nicht die einzigen, wenn die Welt plötzlich aus den Fugen gerät. Helfer für die seelischen Krisen in solchen Situationen gibt es viele, und doch hat Hessen dabei ein großes Defizit. Das wurde schnell deutlich, als die Landtagsabgeordnete Kerstin Geis in dieser Woche zu einem Online-Meeting mit Aktiven aus verschiedenen Organisationen zusammentraf. Die Sozialdemokratin lädt regelmäßig Hilfskräfte zum Austausch ein, um ihre Arbeit und Probleme zu kennen und aufzugreifen.

Zufällig gab es ganz aktuelle Erfahrungen zu diskutieren, waren doch Helfer aus Hessen auch in den Überflutungsgebieten von Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen im Einsatz. Aber auch in Hessen kommt es zu Vorfällen, die Menschen schwer traumatisiert zurücklassen – man denke an die rechtsextreme Mordserie von Hanau. Oft sind die direkt Betroffenen ebenso zu betreuen wie Zeugen, Angehörige, Hinterbliebene und schließlich auch Einsatzkräfte.

Ausgebildete Helfer, die mit persönlichen Krisen aufgrund traumatischer Erfahrungen richtig umgehen können, gibt es bei ganz verschiedenen Organisationen: Feuerwehr, Polizei oder Deutsches Rotes Kreuz etwa. Aber auch die Kirchen bieten Notfallseelsorge an, dazu kommen private Organisationen und spezialisierte Psychotherapeuten. Was aber kaum zu glauben ist: In Hessen gibt es keine Stelle, die solche Einsätze koordinieren würde und als zentraler Ansprechpartner bereitsteht.

Fast alle stehen besser da

Fast alle Bundesländer haben solche PSNV-Landeszentralstellen, außer Hessen fehlen nur noch Bremen und Sachsen-Anhalt. „Eigentlich dürfte niemand fehlen“, stellte Geis fest, „denn es gibt eine bundesweite Verabredung, diese Strukturen aufzubauen.“ In Hessen aber ist der Versuch m Sande verlaufen, vielleicht weil die Aufgabe im Grenzgebiet mehrerer Ministerien liegt: Das Innenministerium ist für Feuerwehr und Polizei zuständig, das Sozialministerium für die Rettungsdienste, das Justizministerium für den Opferschutz. Wer koordiniert nun?

Sich zu einigen wäre dringend notwendig, denn tatsächlich laufen Einsätze heute oft chaotisch ab, berichteten die Helfer: kein Ansprechpartner, kein Überblick, keine Steuerung. Um eine Zentralstelle einzurichten, braucht es den politischen Willen und auch eine Finanzierung – aber es geht um überschaubare Beträge. Wie es gut laufen kann, hat auf kommunaler Ebene die Stadt Frankfurt vorgemacht: Rund 300 Einsätze im Jahr werden dort von einem zentralen Ansprechpartner koordiniert, bis zu 3000 Personen pro Jahr betreut.

In der Diskussion schälten sich zwischen den Vertretern verschiedener Organisationen einige Eckpunkte heraus. So wäre die Stelle am besten dem Innenministerium zugeordnet, wo auch das Lagezentrum für Krisen angesiedelt ist, und es muss mit fachkundigen Personen besetzt sein – und zwar rund um die Uhr. In die Ausgestaltung müssen die Organisationen an der Basis einbezogen werden, damit ein praxistaugliches Konzept herauskommt.

Kerstin Geis dankte den Teilnehmern für ihr Engagement und die wertvollen Hinweise. Sie wird das Thema mitnehmen nach Wiesbaden, um ihm dort einen Schub zu geben. „Das ist zu wichtig“, so die Abgeordnete, „um es weiter dahindämmern zu lassen. Eine Krisensituation kann jederzeit und überall eintreten, und dann müssen wir seitens des Landes die bestmögliche Unterstützung geben, auch im psychosozialen Bereich.“